Im Land der Wärmenden Sonne

Eine Geschichte von Gabi Maushart

Paul der Raupenmann

Wales, Juni 2008

Paul ist ein junger Raupenmann, der eigentlich ganz zufrieden lebt. Er hat genügend zu fressen und sich das Leben ganz passabel eingerichtet. Aber tief in seinem Herzen spürt er eine Unzufriedenheit, eine Traurigkeit, die an ihm nagt. Eine Sehnsucht, für größeres geboren zu sein, als am Boden zu kriechen und zu fressen – tagein, tagaus.

Die anderen Raupen verstehen ihn nicht, hat er doch alles, was für ein glückliches Raupenleben von Nöten ist. Nachts träumt Paul manchmal vom Wind der Freiheit, der Ihm um die Nase bläst. In letzter Zeit kriecht immer öfter Neid in sein Herz, wenn ein Vogel in Höhen, die dem Himmel wohl ganz nah sein müssen, über ihm seine Kreise zieht, oder ein Schmetterling fröhlich vorbei flattert. „Ich muss hier am Boden rumkriechen, ackern und schuften und diese Flügel tragen diese anmutigen Geschöpfe, die der liebe Gott wohl an einem Sonnentag in den schönsten Farben bemalt hat, die man sich vorstellen kann, mühelos wohin immer sie wollen“. Es riecht nach Freiheit. Dieser Gedanke nimmt ihm dann fast die Luft zum atmen.

Er hasst sich für sein eintöniges Im Land der wärmenden Sonne 2 Aussehen, sein eintöniges, unerträgliches Leben. Ihn hat der liebe Gott wohl an einem Regentag erschaffen: formlos, farblos, flügellos – und eine tiefe Traurigkeit befällt ihn. Von dieser Sehnsucht getrieben ist Paul ständig auf der Suche nach einem Weg aus dieser Tristesse, dieser Hölle, die ihn von innen heraus verzehrt.

„Einmal auch mit Leichtigkeit und frei über den Dingen schweben, statt schwer und gefangen am Boden vor sich hinvegetieren“. Paul wird von Tag zu Tag unzufriedener, unglücklicher und sondert sich immer mehr von den anderen ab. Er zieht sich zurück in seine graue Welt, will niemanden mehr sehen. Die anderen lassen ihn in Ruhe und schon bald unternimmt keiner mehr den Versuch seine Aufmerksamkeit auf die bunten Farben der Blumen und die wärmende Sonne zu lenken. Keiner will mehr etwas mit diesem mürrischen Außenseiter zu tun haben. Er lebt fortan allein fernab des Lebens. Aber so verwehrt er sich wichtiges Wissen über die Entwicklung seiner Art, über Dinge, die sein Leben hätten verändern können.

Eines Tages, als Paul wieder einmal missmutig vor sich hin brummt, nur den Gedanken an Freiheit und den Hass auf die „Flügeltiere“ in seinem Herzen, sieht er an einem großen Blatt etwas seltsames, graues hängen, das seine Neugierde weckt und sein Herz aufgeregt und schneller schlagen lässt. Es erweckt in ihm eine seltsame Vertrautheit, eine Ahnung. Er nähert sich vorsichtig, denn seit seiner Abwendung von den anderen ist er sehr misstrauisch. Paul begutachtet das „Geschöpf“ aus einiger Entfernung zaghaft, kann aber nichts erkennen.

Die Neugier ist so groß und klopft wild in seinem Herzen. Paul fühlt, etwas Wichtiges und Bedeutendes liegt vor ihm. Er verwirft alle Gedanken auf der Hut zu sein, all sein Zweifeln und spürt nach langer Zeit der Kälte ein kleines wärmendes Feuer in seinem Herzen aufflammen. Er wagt sich bis an das unbekannte Gebilde heran, aber es bewegt sich nicht. Gern wüsste er, wer oder was es 3 ist, bekommt aber weder eine Antwort, nachdem er mutig fragt, noch ist in dieser Einöde, in die sich Paul zurückgezogen hat, irgendjemand, den er hätte fragen können. Zum ersten Mal seit langer Zeit, ist er sich schmerzlich seiner Einsamkeit bewusst. Paul verharrt eine ganze Weile in einem Hinterhalt um zu sehen, ob es nur eine Tarnhaltung ist um nicht entdeckt zu werden, aber es tut sich nichts.

Paul ist einige Tage unterwegs, bis er endlich einen Artgenossen findet. Lotte, wie die Raupe heißt wirkt schwach und des Lebens müde, sie bewegt sich kaum. Seine innere Stimme sagte, dass Lotte die richtige ist, um seine Fragen zu beantworten. Paul muss sie überzeugen mit ihm zu kommen. Er muss erfahren, was es mit diesem Gebilde auf sich hat. „Ich bin zu schwach und kann so weite Strecken nicht mehr zurücklegen. Und außerdem, was habe ich davon?!“ bekommt er zur Antwort. Alles Reden hilft ihm nicht. Er möchte sie am liebsten anschreien und zwingen, mit ihm zu gehen, ihr drohen – spürt, es ist für ihn lebenswichtig – aber das wird ihn nicht weiterbringen. Er hat schon so lange nicht mehr mit anderen Raupen zu tun gehabt, hat verlernt, wie man mit ihnen umgeht, hat keine Übung Raupendamen zu überzeugen. Traurig dreht er sich um und ein paar Tränen steigen ihm in die Augen, nehmen ihren Weg über die Wangen, drohen das kleine Feuer in seinem Herzen zum Erlöschen zu bringen. Die vertraute Kälte kriecht in ihm hoch, beginnt wieder Besitz von ihm zu ergreifen. Paul fühlt sich allein gelassen auf dieser Erde und genau diese Tränen der Einsamkeit scheinen Lottes Herz zu erweichen und sie willigt ein, doch mit ihm zugehen.

Mit der schwachen Raupendame im Schlepptau ist die Reise viel mühsamer und scheint kein Ende zu nehmen. Paul wird von Tag zu Tag ungeduldiger und gereizter, geschürt von der Angst, das Geschöpf könnte nicht mehr da sein. Zu guter Letzt, Paul hat aufgehört zu zählen, wie oft die Sonne auf und unter gegangen ist, 4 kommen sie ans Ziel. Paul ist wie vom Blitz getroffen, starrt regungslos an die Stelle, an der all seine Hoffnung gehangen hat. Enttäuschung und Wut erfassen sein Herz. Erschöpft und den Tränen nahe, neigt er seinen Blick zu Boden. Erneut schlägt sein Herz Alarm.

Was sieht er da am Boden liegen? Das graue vertraute Etwas. Paul erschrickt es muss vom Sturz hier auf die Erde zerbrochen sein und mit ihm all Sein Hoffen. „Sieh nur!“ sagt Lotte ein wenig traurig „ da hat es wieder ein Artgenosse geschafft, wie ich ihn beneide“ und zeigt mit diesen Worten auf das zerbrochene Etwas, das Paul so berührt. Fragend schaut er Lotte an. Seine Gedanken überschlagen sich in seinem Kopf und die Fragen purzeln nur so aus seinem Mund.

Lotte lächelt zärtlich und beginnt ihm zu erzählen, von dem Sinn des vielen Fressens einer Raupe, bis man das Gefühl hat zu platzen, dann häutet man sich und frisst und wächst weiter und häutet sich. Und so geht das weiter, bis die Zeit gekommen ist, sich die Speicheldrüse in eine Art „Spinnapparat“ verwandelt und ein zur Seide erhärtendes Sekret gebildet wird, mit dem man sich dann an einem möglichst sicheren Ort einspinnt an einem stabilen Stängel unter einem Blatt versteckt hängend. Diese graue „Puppe“ wird dann ganz hart, zu dem Kokon, dessen Anblick dich so berührt. Dann ist dein Schicksal besiegelt, während du dich in dem Kokon zum wunderschönen Schmetterling entwickelst, bist du deiner Außenwelt ausgeliefert, denn du kannst dich nicht bewegen, nicht fliehen vor dem Feind. Nach einiger Zeit platzt dein Kokon auf und du kannst entschlüpfen, zum ersten Mal deine Flügel entfalten und fliegen, wohin du möchtest! Pauls Gesicht wird immer länger, seine Augen immer größer und sein Herz klopft, dass man es wohl einen Tagesmarsch entfernt noch hören muss.

Soll das alles wahr sein? Soll er wirklich ein Sonnentagsgeschöpf werden können, sich erheben können, in den 5 Himmel fliegen….. Seine Gedanken fliegen davon. Dann wird er misstrauisch. Warum ist Lotte dann noch eine Raupe? Hat sie sich nur lustig über ihn gemacht? Sein Magen zieht sich zusammen und er fragt sie gereizt: „ das hört sich ja alles wunderschön an, aber sag mir, warum bist du dann noch eine farblose, zermürbte Raupe, statt ein bunter Schmetterling?“ Ihr Blick verfinstert sich und sie wurde sehr traurig. Eine ganze Zeit lang schweigt sie, bis Paul sie anfaucht „ du hast mich belogen! Das wirst du mir büßen!“ Wütend ballt Paul die Fäuste, aber Lotte besänftigt ihn. „Warte Paul, ich habe dich nicht belogen. Weißt du, ich bin eine feige Raupe, die Angst davor hat, Ihr Leben, Alles zu riskieren nur um fliegen zu können. Lieber krieche ich am Boden herum und lebt, als mein Schicksal dem Himmel zu überlassen und dann bei dem Versuch, mich in einen Schmetterling zu verwandeln, zu sterben.

Also hörte ich auf zu fressen und stoppte diesen natürlichen Prozess und blieb Raupe. Ich sonderte mich von den anderen ab und wurde sehr einsam. Angst beherrscht mein Leben, das Sinnlos für mich ist. Eine tiefe Traurigkeit befiel mich und ich vegetiere lustlos vor mich hin, kann nichts mehr essen und war wohl kurz davor zu sterben. Dann bist du gekommen und hast mich hierher gebracht. In mir die Sehnsucht nach dem Fliegen geweckt auf unserer Reise hierher, ein kleines Feuer in meinem Herzen entfacht, das die Kälte ein wenig vertrieben hat. Aber jetzt fürchte ich, bin ich zu kraftlos um mich zu verwandeln. Paul ist sehr berührt von Lottes Geschichte, leben sie doch beide ein einsames, trauriges Leben. Paul spürt das Feuer in seinem Herzen lodern und er spornt sich und Lotte an: „lass es uns gemeinsam versuchen. Lass uns mutig sein und dieser traurigen Einsamkeit davon fliegen.

Lotte rinnen ein paar Tränen über die Wange. „Ich wünschte, ich könnte diesen Traum mit dir träumen.“ Paul fleht Lotte an: „wir haben doch nichts zu 6 verlieren, können nur alles gewinnen! Lass es uns versuchen.“ Ihr Blick wird ein wenig heller. „Was, wenn ich es nicht schaffe?“ „Dann werde ich dir helfen“ antwortet er mutig und zum ersten Mal seit sie sich getroffen haben spüren sie in ihren Herzen eine unbekannte Wärme. Entschlossen fangen sie an zu fressen, Tag und Nacht, sie schlafen kaum. Bis sie das Gefühl haben zu platzen; sie häuten sich…..fressen und fressen, bis es soweit ist, dass sie zu spinnen beginnen können.

Paul sagt zu Lotte „ Du spinnst dich zuerst ein, dann kann ich dir helfen, wenn dir die Kraft ausgeht!“ Das meint Er ehrlich. Aber er muss sich auch eingestehen, dass er große Angst davor hat und so kann er sein Schicksal noch ein wenig hinaus zögern. Sie suchen sorgfältig einen geeigneten Platz aus, hängt doch alles davon ab und sie wollen doch Fliegen. Über ihnen zieht ein großer Adler mächtig und graziös seine Kreise. Was die beiden nur noch entschlossener macht. Lotte beginnt zu spinnen und es sieht ganz einfach aus. Aber Paul kann erahnen, wie lange es dauern wird, wie viel Seide gesponnen werden muss, bis sein ganzer Körper bedeckt ist. Doch plötzlich wird Lotte langsamer, ihr Gesicht verzerrt sich und er sieht sie fragend an. „Ich werde es nicht schaffen“ stöhnt Lotte außer Atem. Paul spornt sie an: „denk an den Wind um deine Nase, die Freiheit, wenn wir uns in die Luft erheben.“ Lotte gibt alles, aber mit einem Mal brich sie erschöpft zusammen, und rührt sich nicht mehr. Sie ist in einen tiefen Schlaf verfallen. Ich muss ihr helfen, denkt Paul panisch, klettert an dem Stängel hoch. Zu seiner Überraschung ist das gesponnene schon fest. Vorsichtig klettert er auf den nicht fertigen Kokon, hofft, dass er auch sein Gewicht tragen kann. Er fasst all seinen Mut zusammen und beginnt zu spinnen, bewegt sich dabei so wenig wie möglich, um nicht zu riskieren, dass Er und Lotte in ihrer Puppe nach unten stürzen. 7 Sanft gleitet der seidige Faden aus seinem Mund und Paul ist überglücklich, dass es funktioniert. Vorsichtig spinnt er Lotte ein. Als er fertig ist, versichert er sich, ob alle Stellen geschlossen sind und wünscht ihr von ganzem Herzen viel Glück.

„Bis dann am Himmel meine Freundin“ denk er zärtlich und ist ein wenig überrascht, welch neues Gefühl dieser Gedanke in ihm erweckt. Paul kriecht schon ein wenig erschöpft an den Platz, den er für seine Entfaltung ausgesucht hat. Hier ist es ihm am sichersten im ganzen Umkreis erschienen. Aufgeregt beginnt er zu spinnen. Schicht für Schicht hüllt er sich ein, bemerkt schmerzlich, wie Kräfte zehrend diese Arbeit doch ist. Er muss immer öfter inne halten. Jedes Mal schwellt die Angst es nicht zu schaffen an. Die letzten cm fordern ihm alles ab, sein ganzer Körper schmerzt unter der Belastung, die enge Puppe entfacht in ihm Unbehagen, aber es gibt kein Zurück mehr. Mit allerletzter Kraft schließt er seinen Kokon und sinkt in einen tiefen Schlaf.

Ein böser Traum nimmt Besitz von seinen Gedanken: Paul sitzt in einem engen, dunklen und kalten Gefängnis. Lotte sitzt bei ihm und lacht ihn aus: „Wie konntest du mir nur glauben, was bist du nur für eine dumme Raupe? Am Ende unseres Lebens spinnen wir uns ein, um zu sterben. Es gibt kein zurück mehr. Wir sehen uns vielleicht IM Himmel, nicht AM Himmel“ lacht sie. Das Lachen wurde immer lauter und höhnischer, bis Paul panisch aufwacht. Sich wirklich in diesem engen Kokon eingesperrt sieht, kaum fähig sich zu bewegen. Die Angst drückt Schweißperlen auf seine Stirn, schnürt ihm die Kehle zu, so dass er kaum Luft bekommt. Sein Magen zieht sich zusammen, er fühlt sich, als müsse er sich jeden Moment übergeben. Mit aller Kraft versucht er sich zu befreien, schreit aus Leibes Kräften. Tränen rinnen über seine Wangen. Doch vergebens – stundenlang kämpft er, dem das Leben jahrelang sinnlos und von Hass und Neid gefüllt ist, darum zu leben. Der Zorn auf Lotte, die Flügeltiere, auf alles frisst ihn 8 fast auf. Erschöpft gibt er auf, fügt sich in sein Schicksal und fällt erneut in einen tiefen Schlaf.

Wieder kriecht ein Traum in seine Gedanken. Er will sich dagegen wehren, kann seine Seele doch keinen Kummer, keinen Schmerz mehr ertragen, scheint zerbrechen zu wollen. Er ist zu kraftlos und lässt zu: Er befindet sich auf einer bunten Wiese, Vögel zwitschern und Bienen summen vergnügt ihr Lied. Sein Kokon kommt Paul jetzt viel bequemer und weicher vor. Da kommt ein Schmetterling auf ihn zu geflogen und setzt ich auf ein Blatt in seiner Nähe. In Gedanken kann er fühlen, was sie sagt: „Paul, sei nicht traurig. Ja es stimmt, du kannst jetzt nichts mehr tun, es gibt kein zurück. Aber wenn du aufwachst, lasse alles los – Gedanken, Zweifel, Hass und Neid. Erinnere dich an dieses wunderbare Gefühl hier, die Farben, die Wärme, das Licht…..Alles wird gut. Schiebe alle Gedanken weg, die kommen, lasse sie ziehen wie Wolken dahin. Bündle deine Aufmerksamkeit auf das Fühlen. Spüre deine Sehnsucht nach Freiheit. Nähre sie mit Liebe und Vertrauen. Der Schmetterling lächelt Paul liebevoll an und eine ungekannte Wärme und Geborgenheit durchströmt seine Seele.“ Mit einem Lächeln auf den Lippen wacht Paul auf. Steckt immer noch in diesem engen Gefängnis. Zweifel und panische Gedanken beginnen erneut in sein Herz zu kriechen. Aber da ist da noch diese Wärme, dieses Licht und Paul beginnt sich an seinen Traum zu erinnern. „Lasse alles los – lasse alle Gedanken ziehen wie Wolken – Vertrauen und Liebe“.

Das erscheint ihm in seiner momentanen Situation äußerst schwierig, haben doch negative Gedanken und Misstrauen sein Leben bis jetzt fest im Griff gehalten und als er einmal vertraut, kommt er in diese missliche Lage, die wohl sein Ende bedeutet. Die dunklen Wolken seiner Gedanken vertreiben die Wärme und das Licht fast gänzlich aus seinem Herzen. Paul senkt seinen Kopf und ist bereit zu sterben. 9 Ihm ist nun egal, was geschehen wird und er verfällt in einen Schlaf ähnlichen Zustand. Er verkrampft sich und stellt sich ein wenig auf Schmerzen und Leiden ein, was weiss er denn schon, er ist doch nur eine dumme Raupe und hat doch auch keine Ahnung vom Sterben. Und da kommen die Schmerzen angekrochen. Sie fühlt sich an, wie kleine Nager, die sich an seinen starken Armen zu schaffen machen. Dunkelheit befällt seine Sinne. Er ist sehr dünn und ausgemergelt vom Kampf in diesem verdammten Gefängnis. Der Schmerz fühlt sich weit weg an und er spürt seinen Körper nur ganz dumpf. Er ist nur noch Hülle, fast nicht mehr vorhanden. Doch plötzlich wird ihm leichter, das Lächeln des Schmetterlings blitzt kurz in seinem Geist auf und wirklich, es wird mit einem Mal heller und wärmer. Paul fühlt Freiheit und Liebe und sehnt sich nach dem Himmel. Lächelnd ist er bereit sich IN den Himmel zu erheben. Er fühlt sich leicht und glücklich. „Sterben ist doch gar nicht so übel“ denk er.

Doch was ist das? Paul erschrickt bis in die letzte Zelle seines Körpers, den er, wie er jetzt bemerkt wieder ganz spürt. Es knackt, reißt und klirrt. Paul packt eine fürchterliche Angst. „Was wird wohl geschehen? Knackt wohl ein Vogel meinen Kokon auf und will mich fressen. Mit einem dumpfen „Plong“ bricht die Puppe auseinander. Paul weiss nicht, wie ihm geschieht. Draußen ist ein wunderschöner Tag, die Vögel zwitschern, bunte Blumen und eine saftige Wiese liegen vor seiner Nase. Bienen summen fröhlich ihr Lied und sammeln Honig. Verwundert blickt er sich um. Auf einmal sieht er alles mit anderen Augen. Er bekommt das Übergewicht und gerät ins Taumeln. Er droht zu Boden zu stürzen. Oje, das ist eine ganz schöne Höhe, denkt er sich beim Herabfallen. Dann reißt er intuitiv seine Arme auf um sich irgendwie abzufangen und staunt nicht schlecht, als er langsamer wird und in der Luft schwebt. Erstaunt blickt er auf seine Arme, wie das möglich sein kann und sieht zwei wunderschöne, bunte 10 Flügel, die der Liebe Gott wohl an einem Sonnentag bemalt haben muss.

Er kann es kaum fassen. Er sieht nicht nur alles mit anderen Augen, er ist ein anderer – ein Flügeltier, ein Schmetterling, leicht und frei. Glücklich erhebt er sich in die Höhe, die Luft wirbelt ihm um die Nase und es übertrifft bei weitem seine Vorstellungen, die er sein Leben lang davon gehabt hat. Er kann gar nicht genug bekommen. Kreise, Lupings, rauf und runter. Sein Herz klopft wild. Er weiss nicht, wie viele Stunden vergangen sind, bis er nicht mehr kann und völlig erschöpft an einer kleinen Pfütze landet, in der er sich stolz und glücklich betrachtet. Er ist ein sehr schöner, kräftiger Schmetterling. Doch plötzlich schießt ihm ein Gedanke an Lotte in den Kopf. Ich muss sie suchen.

Die Angst, sie könnte es nicht geschafft haben, umklammert sein Herz. Er benötigt eine Weile, um den Platz, an dem Lotte hing, zu finden. Er hat gar nicht bemerkt, wie weit er geflogen ist und von oben sieht alles ganz anders aus. Vorsichtig nähert er sich der Stelle. Er zögert, getraut sich fast nicht hinzuschauen, ist er sich doch nicht sicher, ob er die Wahrheit ertragen kann. Noch einmal muss er mutig sein. Langsam tastet er sich mit seinem Blick an den Kokon heran, kneift die Augen zusammen. Ganz vorsichtig öffnet er eines und ein Stich durchzuckt sein Herz. Lottes Puppe ist aufgebrochen. Sein Herz klopft: Wo ist sie? Suchend tastet sein Blick den Himmel, den Boden, alles ab. Er wird ein wenig unruhig. Da sieht er den Schmetterling aus seinem Traum erschöpft auf einem weichen Blatt schlafend.

Paul setzt sich neben ihn und betrachtet ihn neugierig. Es ist ihm in seinem Traum gar nicht aufgefallen, wie schön sie ist und eine tiefe Dankbarkeit und Verbundenheit strömen aus einem Herzen. Die Sonne steht schon sehr tief, als sich der Schmetterling bewegt, reckt und streckt und verschlafen die Augen reibt. Als er Paul sieht, lächelt sie ihn zärtlich an, wie in seinem Traum. Als er spricht, ist Paul überrascht, Lottes 11 Stimme zu hören. „Paul, Gott sei Dank, du hast es geschafft; ich habe dein Zögern und Hadern gespürt und mir Sorgen gemacht“ glücklich nehmen sie sich in den Arm uns spüren, wie ihre Herzen wild klopfen. Als sie die Umarmung lösen, sehen sie sich in die Augen und Paul sieht, dass Lotte als Schmetterling viel jünger wirkt, wunderschön ist und die Sanftheit, mit der sie lächelt berührt ihn tief in seiner Seele. Er erinnert sich an seinen Traum: “spüre deine Sehnsucht nach Freiheit“ und dieses wärmende Gefühl beflutet erneut sein Herz. Seine Gedanken purzeln durch seinen Kopf, er lässt sie ziehen, wie Wolken. Sie geben ihrem Gefühl nach. Ihre Lippen treffen sich und das wärmende Gefühl breitet sich sanft und zärtlich in ihren Körpern aus. Eine halbe Ewigkeit küssen sie sich. Dann erheben sie sich gemeinsam und treffen sich AM Abendhimmel, genießen den Wind in Ihren Flügeln, machen ihn sich zum Freund. Sie setzen sich auf die schönste Blume auf dieser Wiese und Paul bedankt sich glücklich bei Lotte: „Danke, ohne dich hätte ich es nie geschafft, meine Sehnsucht zu stillen, meinen Frieden zu finden.“

Ihr Blick wird ernst und sie senkt den Kopf. Paul erschrickt, hat er etwas Falsches gesagt? „Ich erinnere mich genau an den Tag, an dem du mich gebeten hast mit dir zu gehen. Du sahst eine des Lebens müde, zermürbte Raupe. Ich hatte unglaubliche Angst in meinem Leben etwas zu riskieren zu verändern. Diese Angst ließ mich mich krampfhaft an Dingen festhalten, die nicht gut für mich waren. Misstrauen keimte in mir auf und nährte die Angst. Sie wurde immer größer, bis ich mich darin verlor. Sie fraß mich von innen auf, zermürbte mich und ließ mich schneller altern.

Dann kamst du und sätest mit deiner Sehnsucht nach dem Fliegen, die in deinem Herzen brannte und deiner Neugier, Hoffnung in mein Herz. Und Schritt für Schritt auf unserer Reise wurde ich mutiger, spürte ich, wie gut es tat, Dinge selber in die Hand zu nehmen und zu verändern. Ich habe meine Kräfte sinnlos 12 vergeudet und wenn du nicht meinen Kokon fertig gesponnen hättest, mein lieber Paul säße ich nicht hier. Ich habe DIR zu danken. Du hast das Leben in mein Leben zurück gebracht.“ Sagt Lotte und küsst Paul zärtlich, während ein paar Tränen in ihre Augen treten. Und sie bemerken, dass nicht nur ihre Körper sich verwandelt haben, bunt ,leicht und schön geworden sind, sondern wie auch die dunklen Schatten aus Angst, Hass und Neid die ihre Seele bedeckt haben sich in eine helle, freundlich wärmende Sonne „Geborgenheit“ verwandelt hat.